Pawlata: Grenzen überwinden für mehr Selbstbestimmung in Tirol

Im Einsatz für mehr Selbstbestimmung: Erkenntnisse aus der Schottlandreise sollen dazu beitragen, ein menschenrechtliches Verständnis von Behinderung in die Bedarfsplanung und langfristig in die Praxis der Tiroler Behindertenhilfe zu integrieren. Dazu stand Landesrätin Eva Pawlata im Austausch mit der schottischen Sozialministerin.

„Grenzen überwinden – das war das zentrale Ziel der letztjährigen Schottlandreise. Wir bekamen wertvolle Einblicke in das schottische Modell des Self-Directed Support (SDS) – ein Gesetz, das die individuelle Gestaltung von Leistungen der Behindertenhilfe ermöglich“, erklärt Landesrätin Eva Pawlata.

„Dabei ging es uns nicht nur um Ländergrenzen, sondern auch um Grenzen in unseren Köpfen.“ Noch immer ist es gängige Praxis, Menschen mit Behinderungen als „hilfsbedürftig“ anzusehen – sei es durch Außenstehende, Angehörige oder Professionelle. „Der erste Schritt zur Überwindung dieser Denkmuster ist die Abkehr vom Paternalismus. Selbstbestimmung muss konsequent in den Mittelpunkt rücken“, betont Pawlata.

 

„Auch wir können und wollen dazulernen.“

Die Behindertenhilfe in Tirol ist mit dem Tiroler Teilhabegesetz gut aufgestellt, dennoch bleibt viel zu tun. „Ein Paradigmenwechsel steht bevor: weg von Fremdbestimmung, hin zu echter Selbstbestimmung. Vom medizinischen über das soziale zum menschenrechtlichen Verständnis von Behinderung – und dieser Wandel muss sich auch in der Praxis widerspiegeln“, so Pawlata weiter.

Das menschenrechtliche Modell betrachtet Behinderungen als integralen Bestandteil menschlicher Vielfalt – nicht als Defizit. „Statt der Zuschreibung ‚hilfsbedürftig‘ braucht es die klare Anerkennung von Menschen mit Behinderungen als voll rechts- und handlungsfähige Bürgerinnen und Bürger, die unsere Gesellschaft aktiv mitgestalten“, fasst Pawlata zusammen.

Doch Selbstbestimmung kann – und will – erlernt werden. Das zeigt auch die Erfahrung aus Schottland: „Wer über lange Zeit keine eigenen Entscheidungen treffen konnte, verliert oft das Vertrauen in die eigene Wirksamkeit. Deshalb müssen Deinstitutionalisierungsprozesse stets gut begleitet werden, um den Übergang in ein selbstbestimmtes Leben zu erleichtern.“

Pawlata HeatherGilchrist

Erfahrungen aus der Praxis: Heather Gilchrist (l.), Markenbotschafterin von ENABLE Scotland, mit Landesrätin Eva Pawlata

Ein eindrückliches Beispiel dafür ist das Modell der Persönlichen Assistenz (PA) – jenes Modell, das das höchste Maß an Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen ermöglicht. Insbesondere im Arbeitgebermodell übernehmen Menschen mit Behinderungen selbst die Rolle des Arbeitgebers. „Kein Chef fällt vom Himmel – die damit verbundenen Herausforderungen bringen arbeitsrechtliche und organisatorische Fragen mit sich, die letztlich politisch beantwortet werden müssen.“

„Mehr als ein Viertel aller PA-NutzerInnen stammt aus Tirol. Das Tiroler PA-Modell gilt österreichweit als ausgereift – aber auch wir können und wollen dazulernen“, betont Landesrätin Pawlata.

 

„Entscheidend, um die Behindertenhilfe weiterzuentwickeln und echte Selbstbestimmung zu ermöglichen.“

Bereits in den ersten Monaten ihrer Amtszeit setzte sich Pawlata für eine Zielgruppenerweiterung ein, sodass künftig auch Menschen mit Lernschwierigkeiten oder psychischen Beeinträchtigungen Persönliche Assistenz in Anspruch nehmen können. Besonders freut die Landesrätin, dass Tirol maßgeblich an der neuen Bundesrichtlinie zur Vereinheitlichung der PA beteiligt war, die wesentliche Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen bringt.

Doch die Finanzierung ist nur bis Ende des Jahres gesichert. Bei der Länderkonferenz forderte Pawlata gemeinsam mit anderen Sozialreferent:innen eine langfristige Absicherung durch den Bund.

Das zeigt: Personenzentrierte Leistungen erfordern stabile budgetäre Rahmenbedingungen. Im Jänner 2025 tauschte sich Pawlata dazu mit der schottischen Sozialministerin Maree Todd aus. Ein zentraler Fokus des Online-Meetings lag auf nachhaltigen Finanzierungsmodellen und dem Umgang mit begrenzten Ressourcen im Sozialbereich bei gleichzeitig steigender Nachfrage – eine Herausforderung, die nicht nur Tirol und Schottland betrifft, sondern sozialstaatliche Systeme weltweit unter Druck setzt.

Pawlata AndyKerr

Im Austausch: Landesrätin Pawlata mit dem ehemaligen schottischen Finanz- und Gesundheitsminister Andy Kerr

Bereits im Juni 2024 führte Pawlata dazu Gespräche mit Andy Kerr, dem ehemaligen schottischen Gesundheits- und Finanzminister, der maßgeblich an der Einführung des schottischen Self-Directed Support (SDS) beteiligt war. Kerr betonte, dass politischer Wille allein nicht ausreicht – entscheidend war, durch eine gezielte und breit angelegte gesellschaftliche Sensibilisierung Akzeptanz in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu schaffen und MultiplikatorInnen in Wirtschaft, Bildung sowie im Gesundheits- und Sozialwesen zu gewinnen, damit Maßnahmen nicht nur gesetzlich verankert, sondern auch gesellschaftlich breit mitgetragen werden.

Pawlata Online Meeting Schottland

Informatives Online-Meeting mit der schottischen Sozialministerin Maree Todd: Dr. Andreas Wieser, LL.M. (Büro LH Mattle), Landesrätin Eva Pawlata, Ivana Vlahusic (Büro Pawlata), MMag.a Judith Fouda (Büro LH Mattle) (v.l.)

Auf das Meeting mit der schottischen Ministerin Anfang 2025 folgte die Euregio-Tagung in Bozen – ein wichtiger Austausch zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Tirol, Südtirol und dem Trentino. „Einmal mehr wurde deutlich: Über den eigenen Tellerrand zu blicken, Grenzen zu überwinden und Barrieren abzubauen – im Alltag und in unseren Köpfen – bleibt entscheidend, um die Behindertenhilfe weiterzuentwickeln und echte Selbstbestimmung zu ermöglichen“, fasst Pawlata zusammen.

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„Landesrätin Eva Pawlata im Austausch mit dem Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher. Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsbeauftragte Isolde Kafka war maßgeblich an der Organisation der Euregio-Tagung des Tiroler und Südtiroler Monitoringausschusses verantwortlich.“ Foto: Land Tirol/Manuela Tessaro

 

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